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Kampf gegen Desinformation: Warum die EU ihn nicht allein gewinnen kann
Mit dem Digital Services Act institutionalisiert die EU den Kampf gegen Desinformation – doch dieser Ansatz greift zu kurz. Um Verschwörungstheorien und Fake News entgegenzuwirken, ist ein Bottom-up-Ansatz nötig, meint Johanna Koch, die früher selbst in der verschwörungsideologischen Szene aktiv war.
Die EU gibt sich alle Mühen, den Kampf gegen Desinformation zu institutionalisieren – mit Erfolg. Erst im Februar ist der Digital Services Act (DSA) vollständig in Kraft getreten. Die Umsetzung in den nationale Parlamenten ist im Gange und wurde kürzlich in Deutschland beschlossen. Der DSA verpflichtet Plattformen, aktiv gegen Desinformation vorzugehen. Dieser Ansatz der Plattform-Regulierung ist angemessen, schließlich ist durch soziale Medien eine Art zweite Realität entstanden, die angesichts der Einflussnahme extremistischer Gruppen und autoritärer Regime kein rechtsfreier Raum bleiben darf.
In Bezug auf letzteres ist auch nachvollziehbar, dass die EU ihre Institutionen wie die Strategic Communication Abteilung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) im hybriden Krieg gegen Russland kontinuierlich stärkt. Angesichts täglicher Versuche autoritärer Regime, demokratische Werte zu unterminieren, ist dies einwichtiger Schritt für eine stärkere Resilienz der EU. Nachhaltig im Kampf gegen Desinformation sind beide Maßnahmen dennoch nicht. Denn sie packen das Problem nicht bei der Wurzel.
Krasse Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungsträgern
Dass Menschen in demokratischen Systemen für Fake News und skurrile Verschwörungstheorien immer empfänglicher werden, zeigt sich an den Wahlergebnissen. Seit den 2000ern sind euroskeptische Parteien – die sich im Parteienspektrum extrem links und extrem recht befinden – im EU-Parlament immer stärker geworden. Bei der anstehenden Wahl wird ihnen ein noch höherer Stimmenanteil vorausgesagt. Insbesondere die extreme Rechte bedient sich häufig an Verschwörungsnarrativen, etwa wenn es um Themen wie Migration oder Klimaschutz geht. Darunter auch die AfD, die in Deutschland erstarkt, nun auch unter jungen Menschen.
Doch der Glaube an Verschwörungstheorien und Fake News kann sich auch in einer geringen Wahlbeteiligung manifestieren. Beides, ein Erstarken extremer Parteien und eine sinkende Wahlbeteiligung, spiegelt eine krasse Unzufriedenheit mit politischen Entscheidungsträgern wider. Und zeigt, dass Politiker, Parteien und demokratische Institutionen von vielen Teilen der Bevölkerung als unglaubwürdig erachtet werden.
Politiker erscheinen unerreichbar und unzugänglich
Letzteres betraf mich persönlich. Denn mit Anfang zwanzig Jahren war ich Teil der verschwörungsideologischen Szene Deutschlands. Damals haben mich vor allem mentale Probleme und linksextremer Einfluss in die Hände von Rattenfängern getrieben. Von der Gesellschaft habe ich mich nicht gehört, nicht beachtet gefühlt. Zu jener Zeit schienen mir Politiker unerreichbar; unzugänglich mit ihrer akademischen Sprache und ihren leeren Worthülsen. Ihnen gegenüber hegte ich Misstrauen und als ich das erste Mal wählen durfte, tat ich es nicht.
Dahingehend motiviert hat mich vor allem Ken Jebsen, ein Mann, der von Experten als einer der einflussreichsten Verschwörungsideologen Deutschlands bezeichnet wird. Mein Engagement reichte so weit, dass ich kurzzeitig die Öffentlichkeitsarbeit eines verschwörungsideologischen Mediums leitete. Auch Jebsen lernte ich in der Zeit persönlich kennen.
Politische Akteure müssen Verantwortung übernehmen
Nachdem ich es aus der Szene geschafft und mich politisiert habe, ist mir eines klar geworden: Demokratische Parteien können es sich nicht länger leisten, im Kleinen zusammenzusitzen und im Großen Streitigkeiten auszutragen. Nein, politische Entscheidungsträger und Akteure müssen da rausgehen, sich der Unzufriedenheit verschiedener Anspruchsgruppen stellen. Mit mehr Zugänglichkeit und radikaler Ehrlichkeit kann man es schaffen, diejenigen zu erreichen, die den Glauben an die demokratischen Parteien verlieren.
Es ist demnach kein Top-down, sondern ein Bottom-up Ansatz gefragt; von der lokalen über die Landes- bis zur nationalen Ebene müssen politische Akteure Verantwortung übernehmen, aus ihrer Komfortzone heraustreten und sich der Kritik der Bürgerinnen und Bürger stellen.
Eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit politischer Parteien
Es stimmt, durch den Digital Services Act schafft die EU eine Regelung, die im europäischen Binnenmarkt für alle Mitgliedstaaten gilt und die Bekämpfung von Desinformation systematisiert. Damit wird den EU- Ländern ein wichtiges Instrument an die Hand gegeben. Doch erst wenn diese erkennen, dass der Kampf gegen Desinformation von innen heraus angegangen werden muss, kann er gewonnen werden.
Das ist auch eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit der demokratischen Parteien. Diese Erkenntnis ist entscheidend, nicht nur im Hinblick auf die EU-Wahlen im Juni, sondern auch auf die bevorstehenden Landtagswahlen in den östlichen Bundesländern Deutschlands.
Johanna Koch, Jahrgang 1995, ist Kommunikationsexpertin und Kreative aus Berlin. Ehrenamtlich engagiert sie sich in der Bezirksverordnetenversammlung in Berlin-Mitte. Anhand ihrer eigenen Erfahrungen in der verschwörungsideologischen Szene beschäftigt sie sich mit der Frage, was Menschen in die Fänge von Rattenfängern treibt, wie man sich aus diesem Einflussbereich wieder befreien kann und welche politischen Maßnahmen es dagegen braucht.